Seminar zur Disziplinargesellschaft «




Blick Box

Nana S. Fiedler / Simon Schwab

 

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1. Ausgangslage / These

2. Konzept / Aufbau

2.1 Bewegtbildkonzeption
2.2 Auswahl an Fragen des „Systems“

3. Erwartungen

4. Umsetzung

5. Analyse / Auswertung

Diskussion (Kommentarfunktion)


6. Literatur


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1. Ausgangslage / These


Ausgangslage der Videoinstallation Blick Box ist die Annahme, dass Überwachungspraktiken über digitale Medien verstärkt auf die Gesellschaft übergehen und langfristig mit einer Veränderung der Wahrnehmung und daraus resultierenden Wirklichkeitsbezügen einhergeht.

Die Folgen, die durch Überwachung und die Steigerung der Geschwindigkeit (1) – mit welchen das Individuum dauerhaft konfrontiert ist – ausgelöst werden, sind Angst und Trägheit. Die mangelnde Handlungsmacht gegenüber der Überwachungs-Situation führt zum Kontrollverlust. Der Mensch nimmt die Unveränderlichkeit der Situation hin und verfällt in eine „erlernte Hilflosigkeit“ (nach Martin E. P. Seligman und Steven F. Maier). Dieses komplexe Gefüge von Empfindungen verändert die Wahrnehmung, den Bezug zur Wirklichkeit und somit auch die Persönlichkeit.
Wirklichkeitsempfinden wird in diesem Kontext als das Ergebnis kommunikativer Prozesse erachtet. Kommunikation ist deshalb nicht als Art und Weise zu verstehen, die Wirklichkeit zu beschreiben. (Vgl. Watzlawick 2005) Die Überwachung stellt einen Eingriff in die Kommunikation dar und beeinflusst sie stark. Dies kann durch Überlegungen zu Weltbeziehungen unterstrichen werden. Gelingende Weltbeziehungen stellen sich demnach her, wenn die Welt vom Subjekt als Resonanzsystem verstanden wird. (Vgl. Rosa 2013) Welt- und Wirklichkeitsbezüge werden demnach über Resonanzerfahrungen mit dem Umfeld realisiert. Wollte man mit Watzlawicks Verständnis von Wirklichkeit argumentieren, könnte das Resonanzsystem auch als Feedbacksystem kommunikativer Prozesse verstanden werden. Demnach ist anzunehmen, dass die Wirklichkeit über das Resonanzsystem Welt konstruiert und entsprechend erfahren wird. Da Überwachungspraktiken einen Eingriff in kommunikative Prozesse darstellen, nehmen sie ebenso einen - vermutlich immer größer werdenden - Teil dieses Resonanzsystems ein, und beanspruchen diesen für sich. Woraus abzuleiten und zu unterstreichen ist, dass Überwachungspraktiken sich stark auf das "in die Welt gestellt sein“ (Rosa 2013) auswirken und hiermit die Wirklichkeitsbezüge verändern. Dies drückt sich auch im Wissen um die Überwachung aus, welches – bewusst oder unbewusst – die Wahrnehmung und das Verhalten beeinflusst.

Im Folgenden wird der Begriff des Systems verwendet. Über diesen Begriff sind einflussreiche Firmen (Google, Facebook, etc.), der Staat sowie die Gesellschaft angesprochen. Unternehmen sind auf das Sammeln von Daten und die Überwachung von Aktivitäten der Nutzer angewiesen, um deren Profit zu maximieren. Der Staat ist bestrebt, die Entwicklung der Gesellschaft zu kontrollieren. Es soll aber auch deutlich werden, dass jedes Individuum Teil dieses Systems ist und seinen eigenen Nutzen daraus zieht. So wird jeder von jedem und gleichzeitig von sich selbst überwacht, woraus sich ein Übergang der Überwachungspraktiken auf die Gesellschaft ergibt. Die Überwachung hat sich Zugang zu den Köpfen verschafft und so einen flüssigen, gasförmigen Zustand erreicht, was sie maximal präsent und äußerst effizient macht. (Vgl. Baumann/Lyon 2013)


(1) Die Geschwindigkeit manifestiert sich über die Informationsflut. Diese bedingt eine Überforderung des Individuums, was einen Mangel an Handlungsmacht bewirkt.



Fragestellungen

Wie verändert sich die menschliche Wahrnehmung unter den Umständen dieses Postpanoptikums? Welche Schlussfolgerungen und Thesen lassen sich hierdurch auf die zukünftige Entwicklung – in der Überwachung noch präsenter sein wird – übertragen?

Die Fragestellung bezieht sich auf das stark verdichtete Erleben des Empfindungsgefüges im digitalem Raum. Ziel soll jedoch auch eine Ableitung etwaiger Erkenntnisse auf den realen Raum sein.




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2. Konzept / Aufbau




Anhand einer Videoinstallation soll das Empfindungsgefüge und die Veränderung der Wahrnehmung erleb- und untersuchbar werden. Die dazu nötige Reduktion der Komplexität ergibt sich aus dem Einsatz dokumentarischer und inszenierter/verdichteter Situationen, welche ein Wechselspiel zwischen Beobachter und Beobachteter erzeugen und gleichzeitig die Differenz und Vermischung dieser Zustände verdeutlichen sollen.

So kann die situative Empfindung der Überwachung differenzierter betrachtet werden. Die räumliche Konzeption der Installation adaptiert die Architektur des Panoptikums, wird jedoch den postpanoptischen Gegebenheiten (2) angepasst, indem über projizierte Bewegtbilder auf drei zusammenhängenden Leinwänden ein digitaler Raum geschaffen wird. Der Zuschauer befindet sich in der Mitte dieses Raumes und betrachtet alltägliche Situationen. Das Gefühl der Überwachung soll sich über Blickverbindungen zwischen Personen auf der Leinwand und dem Betrachter entfalten. Direkte Ansprachen verdichten die Situation und verstärken die Empfindung.

Die Fragen und Aussagen "digitaler" Personen entspringen sinngemäß den Interessen des Systems und sind auf eine sehr persönliche Ebene reduziert. Direkte Ansprachen und subtile Blickverbindungen verdeutlichen das gegenwärtige und zukünftige Verständnis von Überwachung, welche schon längst auf die Gesellschaft übergegangen ist und nicht länger nur über ihr schwebt. Vielmehr wächst sie zunehmend aus jedem Individuum selbst heraus und hat somit eine Omnipräsenz erreicht. Das System hat die Gesellschaft gewissermaßen instrumentalisiert. Ihre Mitglieder fungieren als „willige Automaten“. Dauerhafte Feedbackmechanismen sorgen für einen kontinuierlichen, bewussten oder unbewussten Informationsfluss, über den die Geschwindigkeit erhöht wird und die Interessen des Systems kommuniziert werden.
Abwechselnd zu den Alltagssituationen werden „Testbilder“ projiziert, welche frei von Blickverbindungen, jedoch von einer gedanklichen Projektion der Überwachung durchdrungen sein sollen, um die Wahrnehmung der Situationen entsprechend zu verändern. Wald, weiße Wände, leere Lagerräume, von Menschen überflutete Plätze. Der Zuschauer wird vermuten unter ständiger Beobachtung zu stehen und gleichzeitig forcierter beobachten zu müssen, da dieser Zustand mit starken Selektionsprozessen in Verbindung stehen dürfte.




Das Element der Geschwindigkeit wird über Kamerabewegungen und einen Wechsel des Montage-Rhythmus sowie schnell aufeinanderfolgende, atemlose Aussagen und Fragestellungen an den Betrachter aufgenommen. Der Ton soll das Gefühl der mangelnden Handlungsmächtigkeit subtil verstärken. Überwachungspraktiken funktionieren heute ausschließlich über digitale Kanäle, von denen wir ständig durchströmt werden. Die Konzeption des Sounddesigns soll diese Digitalität alltäglicher Situationen unzerstreichen.
Um Ausweichreaktionen zu minimieren sitzt der Betrachter auf einem Stuhl. Die Bildsprache hat der Fragestellung entsprechend einen hohen Realitäts- und Wahrheitsanspruch.


(2) Die Dichotomie „Werter-Gefangener“ ist in diesem Kontext nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die Zustände wechseln zwischen beobachten und beobachtet werden. Diese Mischform ist wiederum Teil des zu untersuchenden Empfindungsgefüges.



2.1 Bewegtbildkonzeption


Die Bilder sind in vier Kategorien aufgeteilt:

1. Bilder, in denen Blickverbindungen von Personen auf der Leinwand zum Zuschauer hergestellt werden.

2. Bilder, in denen der Zuschauer reiner Beobachter ist.

3. Bilder, in denen eine direkte Ansprache des Zuschauers erfolgt. Die Ansprachen entsprechen den aufgelisteten Fragen. Diese Kategorie wird einer reinen Inszenierung unterliegen.

4. „Testbilder“, welche frei von Blickverbindungen – teilweise auch frei von menschlicher Interaktion sind und die „Verflüssigung“ der Überwachung bewusst machen sowie Diskussionsgrundlage für eine Auswertung schaffen sollen.


Die Montage unterschiedlicher Kategorien wird im Wechsel erfolgen. Die bereits erläuterte Steigerung der Geschwindigkeit gibt der Montage den Rahmen.



2.2 Auswahl an Fragen des „Systems“


Du solltest Deine Ziele überdenken, mit deinen jetzigen Aktivitäten wirst Du sie nicht erreichen. Du musst umdenken.

Du hast schon recht, es hätte in der letzten Zeit besser laufen können. Was willst Du nun tun?

Wie willst Du in Zukunft Dein Geld verdienen?

Wie steht es um Deine Absicherungen?

Die Dinge verändern sich schnell, hast Du alles im Blick?

Bist du zufrieden mit dir? Was würdest Du ändern, wenn Du könntest?

Du musst lernen Entscheidungen zu treffen, ständig zu hadern und immer wieder neue Wege zu gehen bringt Dich nicht weiter.

Schämst Du Dich eigentlich nicht für Deine Suchanfragen?

Fühlst Du Dich wohl dabei, Dich ständig zu verstellen?

Möchtest Du nicht darüber nachdenken bei Deinen Telefongesprächen authentischer zu sein?

Wieso hast Du gerade letzte Woche so oft darüber nachgedacht?

Dich gerade jetzt auf die Suche danach zu machen wird Dich nicht weiter bringen.

Glaubst Du Deine Freunde wissen nicht, was Du über sie denkst?

Bist Du, was Deine Beziehungen angeht, jetzt zufriedener?

Hast Du Dich gestern wirklich gut amüsiert?

Ist Dein Leben wirklich so aufregend wie Du es darstellst?

Bist Du wirklich, wie Du vorgibst zu sein?

Die Darstellungen deiner Persönlichkeit beginnen sich zu widersprechen.

Warum verleugnest Du Deine Familie? Stehst du nicht zu ihnen?

Bist Du in letzter Zeit nicht etwas zu untätig gewesen?

Du hast Dich in letzter Zeit sehr zurückgezogen. Was ist los mit Dir?

Wieso kommunizierst Du so wenig mit Deinen Freunden? Sind sie Dir nicht mehr wichtig?

Warum erzählst Du nicht die Wahrheit in deinem Nachrichtenverkehr?






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3. Erwartungen

Beim Betrachten der Bilder begleitet den Zuschauer stets das Gefühl beobachtet zu werden. Gleichzeitig ist er jedoch auch Beobachter, was eine dauerhafte Mischform herstellen soll. Der Zustand der Überwachung und Kontrolle soll sich Zugang zu den Köpfen verschaffen, wird ständig in die sich wechselnden Bilder projiziert und hat somit einen gasförmigen, flüssigen Zustand erreicht. Über diese Entwicklung wird Überwachung überaus effizient, mit höchster Geschwindigkeit und maximaler Präsenz. Zudem wird die Überwachung auf einer menschlichen, persönlichen Ebene erlebt, was auf ihren Übergang auf die Gesellschaft hinweist.

Die Installation soll die Explizierbarkeit des situativ entstehenden Empfindungsgefüges möglich machen. Im Anschluss an das Betrachten der Installation werden daher Befragungen unternommen, um die Empfindungen der Testpersonen in Begrifflichkeiten fassen zu können.

Die Installation und deren Erkenntnisse beziehen sich zunächst nur auf das situative Empfinden in einem digitalen Raum. Ziel ist es jedoch, auf Basis dessen eine These im Hinblick auf das Wirklichkeitsempfinden im realen Raum abzuleiten.


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4. Umsetzung











Aufbau der Installation im MediaSynthesisLab der Hochschule Furtwangen







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5. Analyse / Auswertung


"Ich bin ein völlig Fremder in einer Welt, die mich scheinbar kennt."





Den Verfassern ist bewusst, dass im Rahmen dieser Arbeit keine umfassende Analyse der These erfolgen kann. Einleitende Textpassagen verstehen sich als Denkanstöße; die Installation soll die Thematik erfahrbar und diskutierbar machen.

Die Erfahrungsberichte der Testpersonen sind in Schlagworte übersetzt und in der nachstehenden Grafik ersichtlich. Hierbei wurde eine erste Kategorisierung vorgenommen, indem die Essenzen der Aussagen den Überbegriffen Empfindung, Wahrnehmung und Wirklichkeitsbezug zugeordnet sind. Über diese Begriffe soll ein Zugang zur These geschaffen werden:

Überwachungspraktiken gehen auf die Gesellschaft über, was ein komplexes Empfindungsgefüge erzeugt und hierüber Wahrnehmung und Wirklichkeitsbezüge verändern.

Um die Komplexität zu reduzieren erscheint es sinnvoll in drei systematischen Schritten vorzugehen:
Ein erster Schritt nimmt die Definition des Empfindungsgefüges in den Blick, welches durch Überwachung ausgelöst wird. Darüber kann auf Auswirkungen hinsichtlich der Wahrnehmung geschlossen werden und in Schritt drei die These reflexiv forciert werden.








Die grafische Aufbereitung soll Raum zur freien gedanklichen Verknüpfung aller Interessierten geben. Über die Kommentarfunktion können diese Überlegungen in das Projekt integriert werden, um es zu erweitern und so den Fragestellungen näher zu kommen. Es soll noch ausdrücklich erwähnt werden, dass jegliche Überlegungen bezüglich der Thematik wertvoll sind und den Verfassern helfen, die Fragestellungen zu präzisieren und den Erkenntnisgewinn zu forcieren.




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6. Literatur


Baumann/Lyon (2013): Daten, Drohnen, Disziplin. Frankfurt/Main: Suhrkamp

Dany (2013): Morgen werde ich Idiot. Hamburg: Nautilus

Deleuze (1990): Postscriptum über die Kontrollgeschellschaft

Rosa (2013): Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. 2. Aufl. Berlin: Suhrkamp

Schmidt (1998) Zähmung des Blicks. Frankfurt/Main: Suhrkamp

Watzlawick (2005): Wie wirklich ist die Wirklichkeit? 3. Aufl. München: Piper